Plötzlich ist der deutsche Immobilien-Boom wieder ungebrochen.
Nach einem Dämpfer steigen die Preise für Wohneigentum wieder. Immobilien erweisen sich als krisenfest – bisher. Die Lage kann sich nämlich auch schnell wandeln. Eigentümer und Kaufinteressenten sollten deshalb den Markt noch intensiver betrachten als bisher.366
Dass seine Prognose so schnell von der Realität eingeholt werden würde, hat Reiner Braun wohl nicht vermutet. Gerade mal vier Wochen ist es her, dass der Chef des Marktforschungsinstituts Empirica einen gravierenden Preiseinbruch am Immobilienmarkt vorhergesagt hatte: Um zehn bis 25 Prozent würden die Preise für Häuser und Wohnungen wegen der Corona-Krise zurückgehen. Damals – es scheint tatsächlich eine Ewigkeit her zu sein – war der Markt eingefroren, die Zahl an Verkaufs- und Mietinseraten stark zurückgegangen, die Preise ebenfalls – jedenfalls um ein paar Prozentpunkte.
Nur einen knappen Monat später sieht der Markt für Wohnimmobilien so aus, als sei nichts gewesen. In den meisten Bundesländern haben die Kaufpreise wieder das Vorkrisenniveau erreicht. Bundesweit liegen sie sogar leicht über dem Stand von Ende März. Und nicht nur das, die Preise scheinen sogar im gleichen Tempo weiter zu steigen wie zu Jahresbeginn. Das zeigen gleich mehrere Marktuntersuchungen, unter anderem des Analyseunternehmens F+B. Auch das Marktgeschehen hat sich demnach belebt. Das Angebotsvolumen wächst wieder.
In Corona-Zeiten haben manche Gewissheiten nur eine geringe Lebensdauer. Das gilt für Wissenschaft und Politik, aber zurzeit auch für den Immobilienmarkt. Viele Verkäufer haben anscheinend nur einige Wochen abgewartet, bis sich der Markt wieder etwas normalisierte und sie bessere Preise erzielen konnten. Genauso schnell könnte natürlich auch wieder ein Rückschlag eintreten, etwa wenn deutlich werden sollte, dass sich der wirtschaftliche Abschwung stärker auf Arbeitsmarkt und Einkommen auswirkt. Für Verkäufer und Kaufinteressenten lohnt es sich deshalb, das Marktgeschehen regelmäßig zu beobachten, jedenfalls häufiger als in normalen Zeiten.
Wohnen muss man immer, das stabilisiert die Preise
Auch WELT AM SONNTAG hatte vor wenigen Wochen über einen möglichen Preiseinbruch berichtet, wenn auch nicht in dem von Empirica vorhergesagten Umfang, sondern in einer Größenordnung zwischen null und zwölf Prozent, und zwar bis Jahresende. So lautet auch weiterhin die Prognose des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln, und es ist auch nach wie vor möglich, dass es so kommt. Nur vorerst haben viele Marktakteure ihre Meinung geändert, stellt Tobias Just fest, Professor für Immobilienwirtschaft an der Universität Regensburg.
Im Vordergrund stehe aktuell die Stabilität vor allem des deutschen Wohnungsmarkts als Assetklasse: „Wohnimmobilien in Deutschland werden auf der Nutzerseite wesentlich weniger betroffen sein als Gewerbeimmobilien in Deutschland“, so Just. Wohnen muss man immer, Büros und Läden können schließen. Just weiter: „Gewerbeimmobilien in Deutschland werden weniger betroffen sein als in Südeuropa, Großbritannien und den USA. Weil dies so ist, wird Kapital seinen Weg auf die deutschen Immobilienmärkte suchen.“
Diese Rolle als sicherer Hafen für Anleger aus der ganzen Welt könnte jetzt sogar noch wichtiger werden und einen stärkeren Einfluss auf die Preise haben als lokale Nachfragerückgänge und Schwächen am Arbeitsmarkt, glaubt Just. Das gelte jedoch nicht unbedingt für Omas Häuschen am Stadtrand oder auch das bereits extrem teure und luxuriöse Dachgeschoss-Apartment.
„Einige Objekttypen werden abgestraft“, so Just, „nämlich die vergleichsweise spezifischen und damit illiquiden Objekte. Und andere könnten sogar durch die gesamte Krise zulegen, am ehesten tendenziell unspezifische Standardobjekte oder Objekte in nicht vermehrbaren Lagen.“ Sobald das auch größeren Investoren und Banken klar werde, könnte sogar ein Anheizungseffekt eintreten.
Quelle:
WELT, 23.05.2020
Michael Fabricius
Leitender Redakteur Immobilien